"Mensch & Maschine"

27.02.-28.08.2019
Sitec Industrietechnologie GmbH
Chemnitz

2018 im Rahmen des "RAW" Festival der Industriekultur, Förderung durch SITEC Industrietechnologie GmbH und der Kulturstiftung des Freistaat Sachsen





Irini Mavromatidou  
"Mensch & Maschine" 
2018-2019 
Papierobjekt 
200 cm x 180 cm


Laudatio Irini Mavromatidou: Mensch und Maschine

1875 stellte der Berliner Maler Adolph Menzel sein bekanntes Gemälde “Das Eisenwalzwerk” fertig. Bis dahin wurden Fabriken meist nur von außen dargestellt. Menzel jedoch zeigt einen Einblick in das Geschehen innerhalb der Fabrik. Dabei interessiert ihn besonders das Zusammenspiel der Arbeiter und er skizziert das Beobachtete in einer Werkhalle. Sein Gemälde, welches später im Atelier entstand, stellt einen Moment innerhalb eines Arbeitstages dar: Arbeiter die gemeinsam ein Stück Eisen aus der Walzstraße herausziehen, der Direktor, der die Halle inspiziert, die Kollegen, die gerade ihr Vesper einnehmen. 

Mittlerweile sind knapp 150 Jahre vergangen und die Künstlerin Irini Mavromatidou hat sich ebenfalls in eine Produktionshalle begeben, um dort die aktuellen Verhältnisse der Menschen und ihrer Arbeit zu untersuchen. Dabei entstand das Objekt “Mensch und Maschine”.

Das Werk von Irini Mavromatidou zeigt eine in einem Raster ausgerichtete Anordnung kleiner, würfelartiger Objekte, welche auf einem Hintergrund befestigt sind, der aus einer Collage unzähliger Papierstreifen besteht. 

Auf den 1. Blick haben das Objekt von Irini Mavromatidou und das Bild von Adolph Menzel keine Gemeinsamkeiten. Die Bildsprache des Künstlers und der Künstlerin könnten nicht unterschiedlicher sein. Und doch haben sie inhaltlich einige Parallelen. Wo Menzel das Beobachtete realistisch darstellt, findet Mavromatidou Metaphern für die von ihr wahrgenommene Betriebsamkeit in der Fabrik. 

Sie suchte sich eine geeignete Positionen in der Werkhalle, welche ihr einen Blick über das ganze Geschehen in der Produktionsstätte ermöglichte. Dort sitzend, zeichnete Irini an mehreren Tagen verschiedene Szenen. Dieser Prozess des Protokollierens der Geschehnisse half der Künstlerin, die Essenz der Arbeit in der Fertigungshalle zu ermitteln. Im Atelier entstand dann in einem nachfolgenden Prozess das hier zu sehende Werk.

In einer ersten Betrachtung lässt sich das Bild mit seiner Rasterstruktur als Grundriss der Produktionshalle lesen: Gänge und Montagestationen bilden sich in den Würfeln und Zwischenräumen ab. Eine alternative Lesart offenbart uns eine philosophische Interpretation. Wie bereits angedeutet, kodiert die Künstlerin die für sie spannenden Beobachtungen während des Fertigungsprozesses in verschiedenen Metaphern. 

Dass der Mensch im Produktionsprozess immer noch eine wichtige Rolle spielt, lässt sich im Bildhintergrund - die Collage mit den unzähligen Papierstreifen -  aber auch in der Beschaffenheit der Würfel lesen. Es sind keine mittels Lasercuter ausgeschnittene Styroporwürfel, sondern einer auf Basis mehrere zusammengeklebter Papierlagen entstandene Quader. Ein wunderbares Synonym für den nicht unwesentlichen Anteil menschlicher Arbeit im Herstellungsprozess der Sondermaschinen. 

Das sich nicht nur eine Handvoll Würfel auf der Platte befinden, sondern eine große Anzahl, könnte für die beobachteten Wiederholungen und Routinetätigkeiten im Fertigungsprozess stehen. 

Betrachten wir den Bildhintergrund genauer. Wir sehen, dass die vielen Papierstreifen keineswegs willkürlich zusammenkleben. Es ist eine Gewissenhaftigkeit zu beobachten, mit der die Collage die Fläche gleichmäßig überzieht. Auch dies stellt eine interessante Metapher für die wahrgenommene Sorgfalt der Arbeiterinnen und Arbeiter während ihrer Tätigkeit dar.

Diese Beispiele zeigen, dass die von Irini gewählten abstrakten Abbildungen für das Geschehen in einer gegenwärtigen Werkhalle durchaus mit den realistischen Darstellungen von Menzel und seiner Fabrik des späten 19. Jahrhunderts korrespondieren. Am gewählten Farbspektrum lässt sich jedoch definitiv ablesen, dass sich die Verhältnisse in den Werkhallen hinsichtlich Licht und Sauberkeit verändert haben. Mavromatidou wählte fast ausschließlich Weiß und ein helles Grau, wohingegen bei Menzel eher die die dunklen Farbtöne dominieren.

Spannend bleibt die Frage, wie Kunstwerke zu diesem Thema in 20 Jahren aussehen werden. 

Mein Dank gilt Irini Mavromatidou für ihr interessantes Werk zur Abbildung aktueller Arbeitswelten und ich danke, stellvertretend für Ihr Unternehmen, besonders Sabine Rabenhold für die Offenheit und Herzlichkeit, dieses Experiment zu unterstützen und zu begleiten. Außerdem richte ich ein Dankeschön an die Geschäftsführung und an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die Irini Einblicke gewährten und ihrer Arbeit offen gegenüber standen.

Text: Frank Weinhold, 27.02.2019
Kustwerk: Irini Mavromatidou
Mensch und Maschine | Papierobjekt | 2018/2019 | 200 cm x 180 cm